
Von einer Mitarbeiterin der Offenen Schule in Köln bekam ich den Hinweis, dass am Sonntag, den 20.09 in Bonn eine Info-Veranstaltung stattfindet. Dort wollen Pädagoginnen und Pädagogen, ein Gymnasiallehrer und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendfarm e.V eine freie Schule in Bonn gründen. Das interessierte mich natürlich total, also habe ich mich ins Auto gesetzt und bin am Sonntag nach Bonn zur Jugendfarm gefahren. Obwohl wir uns die gesamte Zeit draußen aufhielten, herrschte auch hier auf dem gesamten Gelände eine Maskenpflicht.
Die Gründungsinitiative FreiRaumSchule Bonn exisitert seit ca. 1,5 Jahren und besteht aus einem Team von Pädagogen, Lehrern und Unternehmern. Mit der Jugendfarm e.V. haben sie einen mächtigen Träger im Rücken, das grobe Konzept ist bereits vorhanden und wenn die Rahmrichtlinien der öffentlichen Behörden eingehalten werden, kann die Schule nächstes Schuljahr an den Start gehen.
Vor allem die pädagogische Herangehensweise und das Selbstverständnis der Erwachsenen, die später mit den Kindern arbeiten werden, interessierte mich. Die FreiRaumschule Bonn soll eine staatlich anerkannte Ersatzschule werden, die trotz eines eigenen alternativen Schulkonzeptes die staatlichen Lehrpläne einhält und auch Schulabschlüsse vergeben kann. Diese Idee ist nicht neu, denn auch Waldorfschulen und Montessorischulen sind in der Regel staatlich anerkannte Ersatzschulen.
Selbstbestimmung des Lernens

An dieser Schule sollen Kinder selbst bestimmen können, was sie heute lernen. Dabei gilt der Grundsatz „Kinder lernen ständig, überall und individuell.“ Also lernen die Kinder auch, wenn sie den ganzen Tag spielen, klettern und herumlaufen. Die Angebote von Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern, die in den Räumen zur Verfügung stehen, sollen als eine Einladung verstanden werden.
Dabei orientiert man sich am Stufenmodell von J. Piaget, bei dem jedes Kind verschiedene Entwicklungsstufen durchläuft. Wenn eine davon unzureichend bedient wurde, dann muss das Kind das erst nachholen, bevor es auf der nächsten Entwicklungsstufe etwas Neues lernt. Diese Verantwortung muss aber beim Kind liegen, denn nur das Kind weiß, was es gerade braucht. Die Gründerinnen und Gründer wollen dadurch dem absurden Konstrukt, dass alle Kinder die gleiche Sache, im gleichen Tempo, am gleichen Ort mit dem gleichen Material lernen, mit einer individuellen und kindzentrierten Arbeits- und Lernumgebung begegnen. Kinder stecken voller Potenzial, dass sich entfalten will und eine wichtige Aufgabe neuer Schulen besteht lediglich darin, dafür zu sorgen, die natürliche Potenzialentfaltung nicht zu verhindern.
Nachhaltigkeit

Die FreiRaumschule Bonn will eine nachhaltige Schule sein. Und das nicht nur im bekannten Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit, also Umweltschutz und Gesundheit, sondern auch im persönlichen und sozialen Sinn.
Persönliche Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Kinder nach dem Abschluss der Schule mit allen Fähigkeiten ausgestattet sind, die sie brauchen um alle Lebensbereiche erfolgreich zu meistern. Dazu gehört, dass Kinder und Jugendliche wissen, wer sie sind und was sie wollen und vor allem wie sie es erreichen können.
Soziale Nachhaltigkeit bedeutet, dass Kinder und Jugendliche nach dem Abschluss der Schule Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernehmen können und fähig sind, innerhalb ihrer Gemeinschaft tragfähige demokratische Entscheidungen zu treffen und die Gemeinschaft als Ganzes mitzugestalten.
Demokratische Bildung

In den meisten herkömmlichen Schulen haben die Schülerinnen und Schüler nichts zu sagen. Sie werden kaum in Entscheidungsprozesse eingebunden und haben in den meisten Belangen keine gewichtige Stimme.
Wo kämen wir bloß hin, wenn Schüler entscheiden dürften. Was für viele Kolleginnen und Kollegen ein Schreck ist, ist in der FreiRaumSchule Bonn das Konzept. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden demokratisch, welche Veränderungen an der Schule gemacht werden. Alles natürlich didaktisch aufbereitet und altersgerecht. Dazu soll es ein wöchentliches Schulparlament geben. Dadurch lernen die Schülerinnen und Schüler, wie echte Demokratie funktioniert und Verantwortung wird zur Selbstverständlichkeit. Mitentscheiden statt beherrschen lassen ist das Motto.
Digitalisierung der Arbeitswelt

Die Gründer der FreiRaumschule Bonn gehen davon aus, dass sich die Arbeitswelt in Zukunft stark verändern wird und altgediente Werte in großen Teilen ausgedient haben. Das herkömmliche Schulsystem stammt aus der Zeit der Industrialisierung, in der Gehorsam und gleichförmige Arbeit überlebenswichtig waren. Die Industrialisierung wird aber zukünftig zunehmend von der Digitalisierung abgelöst, denn viele Arbeiten, die früher ein Mensch machen musste, machen heute schon Maschinen. Tendenz steigend. Wir brauche also in Zukunft andere Kompetenzen, welche eher die Kooperation und die Orientierung in komplexen Systemen erfordert.
Ich bin sehr gespannt, wie der Gründungsprozess weiter verläuft und habe meine aktive Teilnahme an diesem Projekt bekundet.